Dienstag, 6. Mai 2014

Ist die Banane gelb - oder blau?! - Teil 1

Im Jahr 2005 stieß ich im "audio"-Magazin auf einen sehr interessanten Artikel - eine Entdeckung der Uni Heidelberg, die eine Erklärung für manche musikalische Phänomene zu sein scheint - warum hat man sich z.B. das Instrument ausgesucht, das man spielt? Warum mag jemand Jazz, der andere lieber Klassik und der nächste nur Death Metal? Warum beurteilt der eine den Klang von Audio-Equipment als gut, der andere als lediglich mittelmäßig?

Ein Zitat macht mit einem Vergleich deutlich, worum es geht:

"Menschen nehmen Tonhöhen mit bis zu vier Oktaven Unterschied wahr. Als ob man statt einer gelben eine blaue Banane sehen würde." Dr. Peter Schneider

Es geht darum, dass die Menschen sich unterscheiden in der Art ihrer akustischen Wahrnehmung und Verarbeitung: es gibt Grundtonhörer, und es gibt Obertonhörer. Ich bin Grundtonhörer, was auch dazu passt, dass ich Drummer bin - bzw. durch meine Art zu hören dieses Instrument ausgesucht habe. Dazu später mehr. Das Ganze ist ein recht komplexes Thema, daher werde ich es auf mehrere Beiträge aufteilen.

Nun muss man erstmal klären, was Grund- bzw. Obertöne überhaupt sind. Ein natürlicher Klang besteht aus eben diesen beiden Komponenten - der Grundfrequenz (= Grundton) und Vielfachen dieser Frequenz (= Obertöne). Der Charakter von Geräuschen, Stimmen, Instrumenten etc.wird definiert durch das Obertonspektrum, also Anzahl und Stärke der Obertöne.

Es gab damals einen auf CD beiliegenden Hörtest, um zu ermitteln, ob jemand eher Grundtöne oder Obertöne wahrnimmt. Im Netz kann dies hier durchführen: http://hoertyp.de/. Bei den gleichen Beispielen kommt nun je nach Veranlagung heraus, dass eine Tonfolge absteigend - oder aufsteigend ist! Grundtonhörer ergänzen aus den vorhandenen Obertönen die Grundfrequenz und legen so die Tonhöhe fest - das Gehirn des Obertonhörers legt die Tonhöhe mittels des vorhandenen Obertonspektrums fest. Und bei diesen beiden Methoden kann nun der erhebliche Unterschied von bis zu 4 (!) Oktaven entstehen. So hört beispielsweise der eine ein eingestrichenes B, der andere im gleichen Moment ein viergestrichenes F...

"Die statistische Verteilung spricht dafür, dass es mehr extreme Grund- oder Obertonhörer gibt als gemässigte Hörer, deren Werte sich in den ausgeglicherenen Bereichen finden. Anders ausgedrückt: es gibt mehr Menschen, die statt einer gelben eine blaue Banane sehen." audio Magazin, 01/2006, S. 13

Im Gehirn lassen sich eindeutig auch Unterscheide zwischen beiden Hörtypen feststellen; ein Teil im Hörkortex ist jeweils in der linken oder rechten Hirnhälfte größer als auf der anderen Seite. Unabhängig von Alter, Geschlecht oder musikalischer Vorbildung spricht also eine Seite des Gehirns mehr auf Klänge und Musik an als die andere. Diese Dominanz einer Seite ist angeboren (die andere Seite ist nicht komplett inaktiv, spricht aber wesentlich weniger an).

Ist der linke Bereich dominant, spricht das Gehirn mehr auf kurze, schnelle Impulse an; Klänge unter einer Länge von 50 ms. Dies sind die Grundtonhörer. Daher bin ich wohl Drummer geworden, da ich Grundtonhörer bin. Gitarre, Klavier und hochfrequente Soloinstrumente (Flöte, Trompete,...) gehören auch zu den gewählten Instrumenten von Grundtonhörern. Die rechte Seite spricht mehr an auf längere Töne und die spektrale Verarbeitung des Gehörten. Lange getrage Melodien entsprechen den Vorlieben von Obertonhörern. Hier findet man meistens SängerInnen, Streicher, Orgel, Blech- und Holzblasinstrumente in tieferen Lagen.

Grundtonhörer achten verstärkt auf Timing und Präzision. Obertonhörer scheinen demgegenüber toleranter zu sein - dafür fallen diesen Klangverfärbungen sehr stark auf.

Ein interessanter Hinweis findet sich noch in dem bereits erwähnten Artikel aus dem audio-Magazin: "Interessanterweise stimmt die Einteilung der bevorzugten Instrumente nach Grund- und Oberton mit der Sitzordnung in einem modernen Sinfonieorchester überein." audio Magazin, 01/2006, S. 14

Im nächsten Teil beschreibe ich weitere interessante Fakten und mögliche Auswirkungen zu diesem Thema. Zum Schluss dieses Beitrags sollte noch ein wichtiges Zitat stehen:

"Grund- und Obertonhörer hören weder besser noch schlechter. Sie hören nur unterschiedlich." Dr. Peter Schneider

Donnerstag, 1. Mai 2014

Ist das Hören von mp3 und Co. zu anstrengend für unser Gehirn?

Neben den oft diskutierten "Vorwürfen" gegenüber mp3s und ähnlichen datenreduzierten digitalen Audioformaten wie Untergang der Albumkultur, keine großen Coverbilder mehr möglich etc. gibt es interessante Ansätze zu erklären, warum es rein körperlich sehr unangenehm ist, über einen längeren Zeitraum derartige Formate zu hören.

Dies geschieht unbewusst - kaum ein Musikkonsument kann benennen, was ihn dazu bringt, die Musik nach einer Weile abzuschalten. Dennoch kennen vielen dieses Phänomen, auch Jugendliche, die ja mit diesen Formaten aufwachsen.

Dies liegt hauptsächlich an zwei Faktoren:
  • fehlende Daten, die das Gehirn ergänzen muss
  • fehlende Dynamik durch zu viel Kompression
Dies sind keine wissenschaftlich eindeutig nachweisbaren Phänomene, es ist umstritten, ob es pauschal so für alle Hörer zutrifft. Aber die "Vorwürfe" sind andererseits nicht von der Hand zu weisen. Zumindest wurde folgendes bereits nachgewiesen: verschiedene Klangqualitäten haben auch verschiedene Hirnaktivitäten zur Folge - schlechtere Klangqualität benötigt mehr Areale im Gehirn und damit mehr Leistung. Auch wenn die Musik als mp3 o.ä. scheinbar "ok" klingt, ist das Unterbewusstsein immer mit dem Ergänzen der fehlenden Daten beschäftigt.

Viele meiner jugendlichen Schlagzeugschüler/-innen haben mir schon berichtet, dass sie nach einer Weile Probleme haben, weiter Musik zu hören - irgendetwas ermüdet sie und raubt ihnen die Konzentration. Das könnte daran liegen, dass das Gehirn die im Zuge der Datenreduktion entfernten Klanganteile wieder hinzurechnet - die Musik fordert also permanente Denkleistung, aber nicht für den musikalischen Inhalt, sondern um es für den Hörer wieder komplett erfassbar zu machen. Und man muss hier auch etwas weiter denken - Mobilfunkgespräche sind ebenfalls digital und datenreduziert. Wir müssen also nicht nur beim bewussten Musikhören, sondern auch beim teilweise belanglosen Telefonieren unser Gehirn anstrengen.

Erschreckend sind diese Entwicklungen meiner Meinung nach auf jeden Fall, und auch die Wissenschaft lässt dieses Thema nicht links liegen. Allerdings machen die Forscher auch nicht all zu viel Hoffnung:

"Wissenschaftler wollen herausfinden, ob sich Menschen an mindere Tonqualität gewöhnen können. Geht es um bewusste Wahrnehmung, ist dies bereits erwiesen, doch es könnte möglicherweise auch für unbewusstes Rezipieren gelten. Manche Forscher vermuten, dass Gehirne von Menschen, die schon als Jugendliche ausschließlich MP3-Musik hören, später die Lücken in der komprimierten Klängen nicht mehr füllen wollen und von schlechter Qualität völlig unberührt bleiben." (Die Welt; 05.10.13; http://www.welt.de/wissenschaft/article120646901/Warum-uns-komprimierter-Digitalklang-so-nervt.html)

Interessanterweise war auch mindestens eine Person, die die Musikindustrie durch ein datenreduziertes Format revolutioniert hat, lieber dem Vinyl-Schallplatten-Hören zugeneigt...die Auflösung, wer das war, folgt am Ende dieses Beitrags.

Der zweite Faktor - übermäßige Komprimierung der Dynamik - ist auch bekannt als "Loudness War". Eine gute und beeindruckende akustische Darstellung wird hier geboten: https://www.youtube.com/watch?v=3Gmex_4hreQ.

Generell steckt dahinter die Überlegung, dass laute Musik beeindruckender ist und dadurch im Radio, Club etc. eher wahrgenommen wird. Deshalb wird der Dynamikumfang durch entsprechende Prozessoren sehr stark eingeschränkt - eigentlich leise Passagen wie z.B. eine Bridge nur mit Akustik-Gitarre sind dann genau so laut wie der Refrain mit zwei Gitarren und fetten Drums. Man spricht in diesem Zusmmenhang übrigens von der Lautheit, nicht von der Lautstärke.

Ohne nun zu sehr ins tontechnische abzuschweifen - diese Methode führt in den meisten Fällen zu kurzen digitalen Übersteuerungen (Clippings). Und dies wird über eine längere Hördauer dann einfach auch unbewusst als sehr unangenehm empfunden. Bekannte Beispiele für extreme Lautheit und damit auch leider keinem sehr angenehmen Sound sind "Californication" der Red Hot Chili Peppers oder "Death Magnetic" von Metallica. Fans und Hi-Fi-Enthusiasten waren bei den jeweiligen Releases dieser Alben gleichermaßen enttäuscht und es gab sogar Unterschriftensammlungen, um neue Abmischungen/Masterings zu erreichen. Viele Hörer können kein komplettes Album durchhören, dass extrem in der Lautheit bearbeitet wurde.

Dies sollte man einfach mal bedenken, wenn man Musik hören möchte und die Wahl hat. Es muss sich nicht jeder mit einem Glas Rotwein vor den 20.000 Euro Schallplattenspieler setzen - aber es muss vielleicht auch nicht immer youtube in der geringsten Auflösung über eingebaute Lautsprecher sein. Vielleicht findet der/die ein oder andere ja heraus, dass man dann auch länger und mit noch mehr Spass Musik geniessen kann. Die lebende Legende Neil Young sagte in diesem Zusammenhang:

"What everybody gets [on an MP3] is 5% of what we originally make in the studio," he said. "We live in the digital age, and unfortunately it's degrading our music, not improving." theguardian.com,

Und wer war nun der Pionier, der die Musikbranche mit Digitalformaten und enstprechenden Abspielgeräten und einem Store revolutioniert hat - und dann doch daheim lieber den Plattenspieler laufen ließ - ganz klar: Steve Jobs. Lassen wir zum Abschluss noch einmal Neil Young zu Wort kommen, der momentan einen eigenen Player mit hochauflösenden Formaten an den Start bringt - ein Projekt, das eigentlich mit Steve Jobs als audiophiler iPod geplant war:

“Steve Jobs was a pioneer of digital music, but when he went home he listened to vinyl.” - Neil Young